KI zur Erstellung und Prüfung von Patentanmeldungen

Sebastian Birnbach

19. November 2024

Ist KI für Patentanmeldungen sinnvoll?

TL; DR: für die Recherche: ja; zum Verfassen von Patentanmeldungen: nein; zur Prüfung beim Amt: unbedingt.

IBM hatte in den 90er Jahren eine wunderbare Fernsehwerbung, die ging ungefähr so:

Mitarbeiter 1 (liest eine Zeitschrift): Hier steht, wir müssen ins Internet.
Mitarbeiter 2 (nach längerer Pause): Wieso?
Mitarbeiter 1 (nach sehr langer Pause): Steht hier nicht.

Mit KI ist es auch ein bisschen so: alle finden, das wäre jetzt die Sache, aber wie das gehen soll, ist nicht so klar. Mehr noch: sich dabei erwischen lassen wollen die wenigsten. Also, was machen wir mit der schönen KI, die doch jetzt überall verfügbar ist?

Im Patentwesen ist man derzeit recht froh, amtsseitig herausgefunden zu haben, wie man die neue (naja) Technik patentrechtlich bzw. formalrechtlich behandelt. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei Ligen. In der unteren Liga beansprucht jemand im Wesentlichen eine Technik, die darauf trainiert ist, das gegebene Problem zu lösen und das Amt quengelt, dass das so nicht ausführbar ist, weil die Trainingsdaten nicht super-genau angegeben sind. In der oberen Liga beansprucht man eine konkrete KI-Technik zur Lösung eines konkreten Problems, sagen wir ein rekurrentes neuronales Netzwerk mit einer neuen Art der Rückkopplung, und der Prüfer hält einen Stapel wissenschaftlicher Veröffentlichungen aus den Nullerjahren entgegen, die das schon rauf und runter zeigen, nur kannte der Verfasser der Anmeldung die nicht.

KI beim Verfassen einer Patentanmeldung

Bei der Erstellung einer Patentanmeldung vertraut man üblicherweise auf einen Patentanwalt, weil er

  1. die Erfindung versteht
  2. die Anmeldesprache beherrscht
  3. den Unterschied gegenüber dem bekannten Stand der Technik herausarbeiten kann
  4. Rückfallebenen für das Prüfungs- und ggf. Verletzungsverfahren bilden kann und
  5. die Verantwortung für seine Arbeit trägt.

Setzt man für das Erstellen einer Anmeldung eine KI ein, stößt man auf Probleme. Was Punkt 1 angeht, dem Verständnis der Erfindung, muss man vielleicht noch gar nicht so streng sein. Ein Gesprächspartner, der mir genügend Fragen über einen Gegenstand (richtig) beantworten kann, ist von jemandem, der den Gegenstand verstanden hat, schwer zu unterscheiden. Andererseits ist tatsächliches Verständnis eines Sachverhalts aber derzeit noch von keiner KI zu haben, sei es ein LLM, ein Expertensystem oder eine andere lernfähige Technik. Das scheint damit zusammenzuhängen, dass eine bekannte KI weder ein Bewusstsein noch einen Standpunkt hat. Die KI wird also bestenfalls eine Erfindung wiedergeben können. Sie verbessern, ausweiten, abtrahieren, Fehlendes ergänzen, Widersprüche beseitigen, gute Nachfragen generieren, … mal so mal so. Es ist eben nur vorgespieltes Verständnis auf der Basis des Wissensschatzes des Internet, einschließlich allen Bull**its, und harter Mathematik.

Punkt 2, das Beherrschen der Anmeldesprache ist auf den ersten Blick gegeben, aktuelle LLM formulieren prächtig und beherrschen auf Aufforderung Transferleistungen im Stil, die Menschen nur vereinzelt gelingt. So kann ChatGPT beispielsweise problemlos einen Anspruch als Sonnett, als Liebesbrief oder in Plattdeutsch ausdrücken. Allein, warum sollte man das tun?

Die Eleganz und der Wert einer Beschreibung hängt von der Kunstfertigkeit des Autors ab, sich seiner Sprache zu bedienen. Ein Autor wird bei Bedarf ein Argument vorwegnehmen, eine Finte einfügen, eine Definition abändern, einen Begriff mit Inhalt belegen, einen Umstand aussparen, einen Halbsatz in der Luft hängen lassen, einen Widerspruch aufbauen oder auflösen, etwas insinuieren oder andeuten… Das LLM kann das alles auch, denn es ist auch bezüglich bestehender Patentanmeldungen trainiert. Aber halt nicht mit Verstand und nicht zielgerichtet zu einem bestimmten Zweck.

Wenn jemand weiß, was er will, kann er sein LLM dazu bringen, solche Sprachfiguren einzusetzen, um einen Zweck zu erzielen. Dann wäre es aber gut, wenn er den Zweck selbst kennen würde, also wüsste, warum er an welcher Stelle welches Stilmittel haben möchte. Und er wäre gut beraten, den generierten Text an diesen Stellen doppelt gewissenhaft zu prüfen.

Eine beispielhafte Anmeldung hat einen Umfang von ca. 15 Seiten Beschreibung, 10-15 Ansprüche und 3-5 Figuren. Stehen die Ansprüche und die Figuren, ist der Großteil der Arbeit bereits gemacht. Dann hat der Patentanwalt die Erfindung komplett im Kopf, der rote Faden ist gelegt und innerhalb von ca. 2-3 Stunden ist die Anmeldung diktiert. Einen oder zwei Tage später kommt der Text aus dem Sekretariat und das Durchgehen erfordert nochmal vielleicht eine Stunde. Dass der Schreibdienst dabei noch Fehler findet und beispielsweise sicher stellen kann, dass alle Sätze aufgehen, die Bezugszeichen stimmen und die wichtigsten Vokabeln konsistent verwendet werden, ist ein positiver Nebeneffekt.

Bedient sich der Bearbeiter des Prompt Engineerings und gibt er genau an, was zu sagen und wovon zu schweigen ist, kommt er vielleicht auf eine Stunde Aufwand, die Kontrolle wird eher länger dauern aber sagen wir mal, das wäre auch in einer Stunde erledigt. Die Lernzeit fürs Prompt Engineering können wir erst mal vernachlässigen. Für die Angabe müsste aber vorausgesetzt werden, dass die KI sinnvoll mit existierenden Figuren arbeiten kann, was keinesfalls selbstverständlich ist. Soll die KI auch noch Figuren auswählen, zusammenfassen oder gar erstellen, ist sicher mehr Aufwand beim Erstellen einer passenden Aufforderung und bei der Kontrolle des Ergebnisses einzuplanen. Tut sie dies nicht, kann sie nur einen Teil der Beschreibung beisteuern.

Mit etwas Großmut kommt man also auf ähnliche Zeitaufwände für die traditionelle Erstellung gegenüber der KI-gestützten. Allerdings wird man als Bearbeiter bei der KI-Variante nicht viel lernen können, denn man hat sich mit der Sache ja nicht selbst sprachlich auseinandergesetzt – das war ja gerade das Ziel. Gut, man könnte sich vielleicht eine gelungene Formulierung oder eine Sprachfigur abschauen, müsste aber gut prüfen, wie weit einen das trägt und man nichts falsches lernt.

Ein bisschen ist das der Unterschied zwischen jemandem, der in einer Situation eine witzige Bemerkung macht und jemandem, der einen Witz nacherzählt. Deswegen werden KIs nicht zu Partys eingeladen.

Bei Punkt 3, dem Unterschied zum Stand der Technik, muss man sich als Mensch einfach geschlagen geben. Kein Mensch hat so viel Material für sein Training verwendet und niemand wird so große Datenbestände durchgehen können wie ein LLM. Hier kann und sollte man sich als Bearbeiter also von einer KI helfen lassen. Was man mit dem Stand der Technik dann macht, ist wieder Gegenstand von Punkt 2.

Punkt 4, die Rückfallebenen, sind weniger leicht zu bewerten. Grundsätzlich wird die KI sehr gute Rückfallebenen beschreiben, wenn man ihr sagt, welche das sein sollen. Die Erfahrung und das Gefühl eines Patentanwalts, an welcher Stelle er wie vorbaut, welcher Umstand der Anmeldung noch wichtig werden könnte, was er fürs Prüfungsverfahren tut und fürs Verletzungsverfahren lässt oder umgekehrt, hat die KI natürlich nicht. Was genau also an Rückfallebenen zur Verfügung steht, wenn es darauf ankommt, ist ein Glücksspiel.

Was uns zu Punkt 5 bringt: der Haftung.

Es gibt Menschen, die einer KI-Technik Entscheidungen mit großer Tragweite überlassen. Läuft etwas schief, muss man eben mit dem Problem leben, oder man setzt die KI sowieso zu Ungunsten anderer Leute ein, dann müssen halt die mit dem Ergebnis leben. Natürlich haftet die KI selbst nicht und ihr Hersteller für eine erstellte Anmeldung ebenfalls nicht.

Gegen solche Fehler könnte man sich versichern. In der Patentwelt ist das schwierig, man weiß eben nicht, wie teuer oder wie überlebenswichtig für eine Firma eine Anmeldung noch werden kann. Klar ist, dass man nur einen Versuch hat, denn wenn die Anmeldung veröffentlicht ist, ist es meist unmöglich, sie in verbesserter Form erneut einzureichen. Eine Versicherung, die für Fehler einer KI einsteht, würde wegen des nicht einschätzbaren Risikos sehr teuer sein. Die Deckungssumme ist in jedem Fall begrenzt.

Die Antwort auf den ersten Teil der Frage scheint einfach zu sein: Anmeldungen per KI verfassen zu lassen ist keine gute Idee. Obige Bewertung können sich in einigen Punkten noch ändern, wenn sich die grafischen Fähigkeiten der KI an die sprachlichen angeglichen haben, doch selbst dann ist es halt eine Entscheidung zwischen Blindflug mit KI und, idealerweise, Kunstfertigkeit mit einem Patentanwalt.

KI im Patentamt

Eine Erfindung geht per definitionem in erfinderischer Weise über den Stand der Technik hinaus. Der Stand der Technik ist gut per KI recherchierbar und die KI kann sicherlich den Unterschied zu einer Erfindung erkennen und auch aufzeigen, aus welchem Grund ein Fachmann den Schritt von dort zur Erfindung geschafft oder nicht geschafft hätte. Auch bei der Formulierung eines Bescheids, zumindest eines Erstbescheids, würde ich einer KI durchschnittlich zumindest so große Fähigkeiten zutrauen wie den Bearbeitern, die Bescheide verfassen, die ich täglich lese.

Ob eine KI im Amt eingesetzt werden sollte, ist nicht so sehr eine technische, sondern eine moralische Frage. Vielleicht wird das ja auch schon längst gemacht. Falls das so ist: welche Konsequenzen könnte das für die Abläufe im Patentamt haben?

Natürlich wäre es nicht erforderlich, ein Heer von juristisch fortgebildeten Ingenieuren zu beschäftigen, um unter größerer oder kleinerer Mitwirkung von KI durchschnittliche Prüfungsbescheide zu erstellen. Mit KI könnte man den Durchsatz bei der Prüfung von Patentanträgen massiv steigern. Die kompetente Diskussion mit der Anmelderin (oder ihrer Vertretung) könnte man gebildeten Prüfern überlassen, die von der Last der Erstbescheide befreit sind und ihren Sachverstand dann auch einsetzen können. Das könnte sogar dazu führen, dass die Entscheidungskammern irgendwann so besetzt werden, dass sie kompetent Entscheidungen treffen, statt diese aufwändig zu verzögern oder zu vermeiden.

Also: ja, unbedingt und möglichst bald sollte KI im Patentamt angewendet werden. Aber nur für bestimmte Dinge.

Die Damen und Herren, die bei den Patentämtern arbeiten, mögen sich bitte nicht dafür von mir gescholten fühlen, dass sie nicht kompetent wären, das Gegenteil ist oft der Fall. Jedoch waren bisherige Versuche, den Durchsatz oder die Prüfungsqualität zu steigern, meines Wissens wenig effektiv. Setzte man KI ein, um vorhersehbaren und bürokratischen Kleinkram aus dem Weg zu räumen, böte sich die Chance, beide Parameter deutlich zu verbessern. Und Menschen für die Eigenschaften einzusetzen, in denen sie sich von jeder KI unterscheiden, zum Beispiel Kompetenz oder menschliche Auffassungsgabe.

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