P oder NP?
Erfindungen, die möglicherweise von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sind (§1 PatG; Art. 52 EPÜ), bedürfen besonderer Zuwendung, um sie rechtlich schützen zu lassen. Rechtlich liegt hier eine Grauzone, in der nicht genau geregelt ist, was patentierbar ist und was nicht. Eine brauchbare Formel, die von der ständigen Rechtsprechung entwickelt wurde, sieht vor, dass “ein technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst” werden muss. Was aber ist ein technisches Problem und was ein technisches Mittel?
Bevor solche Fragen erörtert werden, lohnt es sich herauszufinden, welches Ziel man gerade verfolgt. Soll eine Rechtsfrage erörtert werden? Geht es um das Obsiegen in einem Rechtsstreit? Ist die Öffentlichkeitswirkung gewünscht, die ein Streit um eine Patentanmeldung mit sich bringen kann? Oder gerade das Gegenteil? Welchen Patentanwalt wähle ich aus und was sind meine Kriterien?
Statt zu fragen, woran man einen schlechten Patentanwalt für Derartiges erkennt, wie es ein Kollege auf seiner Website vorschlägt, führt es vielleicht weiter, sich zu fragen, was einen guten Patentanwalt auszeichnet. Arbeitet er individuell? Ist er fachlich qualifiziert, die vorliegende Erfindung umfassend zu begreifen? Hat er eigene praktische Erfahrungen auf dem Gebiet? Wie schätzt er die aktuelle Rechtssprechung ein? Kennt er die relevanten Rechtsquellen? (Spoiler: die “Richtlinien zur Prüfung” des Europäischen Patentamts sind keine.) Seien Sie still anwesend, wenn er die Erfindung mit dem Erfinder bespricht oder sprechen Sie anschließend mit dem Erfinder. Welchen Eindruck haben Sie? Stellt sich der PA gern selbst dar? Woran merken Sie, dass er das mit Ihnen nicht tut? Bietet er Standard-Formulierungen, Standard-Vorgehensweisen oder gar Templates an? Sind Sie sicher, dass Ihnen die helfen?
Bei Zweibrücken IP arbeiten wir in den meisten Fällen an der Patentierung einer konkreten Erfindung, nicht mehr und nicht weniger. Damit die gute Aussichten auf Erteilung hat, ist es hilfreich, Eitelkeiten beiseite zu legen, zuerst seine eigenen. Ziel ist nicht, der Prüfer*in eine Lektion zu erteilen, einen guten Auftritt vor der Prüfungsstelle oder Prüfungsabteilung zu haben oder in der Beschwerde zu obsiegen. Auch wenn es verlockend ist und man im gewerblichen Rechtsschutz notorisch wenig persönliche Bestätigung erfährt, wir müssen unsere Mandanten an dieser Stelle nicht mit einem Spektakel beeindrucken.
Aber zur Sache.
Die Gründe zum Anfechten eines erteilten Patents sind abschließend geregelt und umfassen nicht mangelnde Technizität. Wurde ein Patent einmal erteilt, kann es aus diesem Grund nicht mehr angegriffen werden.
Am meisten ist Ihnen gedient mit einer Patentanmeldung, die so verfasst ist, dass der Einwand der mangelnden Technizität gar nicht erst erhoben wird. Bedenken Sie, dass Sie einen einmal eingelegten Einwand nicht mehr loswerden, weil Merkmale, die als nicht technisch befunden werden, nicht zur erfinderischen Tätigkeit gezählt werden können. Ohne den Einwand sind Sie gleich vom Start in einer viel besseren Position bezüglich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit.
Zum guten Start der Anmeldung kann man beitragen, indem man sauber arbeitet und auch ein bisschen am Gesamteindruck arbeitet. Wenn man keine guten Argumente für das Vorliegen von Technizität hat, wird auch ein guter Eindurck kaum für eine Patentierung ausreichen. Wenn man viele gute Argumente hat, wird man es vielleicht nicht nötig haben, auf Struktur, Ausgewogenheit, Nachvollziehbarkeit oder Stimmigkeit zu achten. Nachdem aber auch ein gutes Argument gerne mal an einem Gegenarbeit zerbricht, sollte man eine Anmeldung einfach so gut wie möglich machen. Das spätere Hinzufügen von Merkmalen oder Erläuterungen ist ausgeschlossen (beim Europäischen Patentamt ist das offiziell als “unentrinnbare Falle” bekannt).
Sie haben nur eine Chance für einen guten ersten Eindruck. Für den sollten gewisse Dinge schon mal gar nicht oder zumindest nicht vordergründig erwähnt werden. Sprechen Sie beispielsweise möglichst nicht von Geld oder Handel, sonst wird die Erfindung leicht als Geschäftsmethode abgetan. Vermeiden Sie plakative Hinweise auf Abstraktes, Spiele, Design oder Ästhetik. Sprechen Sie nicht an leicht zu findenden Passagen von einer Simulation, einer Statistik, einem Computerprogramm.
Haben Sie ein perpetuum mobile erfunden, schreiben Sie das nicht in die Überschrift, sondern erwähnen Sie auf Seite acht in einem Nebensatz, dass die Vorrichtung einen Wirkungsgrad größer als eins erreichen kann. Tritt eine Außenwirkung Ihres Verfahrens erst bei seiner Ausführung ein, dann richten Sie einen Unteranspruch auf die Ausführung. Sie können später darum kämpfen, ihn nicht aufzunehmen (vgl. BGH Urteil “Flugzeugzustand”). Betrifft Ihre Erfindung künstliche Intelligenz, dann haben eher kein Problem mit mangelnder Technizität, sondern mangelnder Neuheit.
Betten Sie die Erfindung in der Offenbarung in einen überzeugenden Anwendungsfall ein. Führen Sie den Leser (=Prüfer) dorthin, wo Sie ihn haben wollen. Beginnen Sie mit einer guten Überschrift, die nicht auf einen anerkannt nicht-technischen Bereich hinweist. Wird ein Patent erteilt, wird die Überschrift sowieso noch angepasst, das DPMA soll eine eigene Abteilung dafür haben. Investieren Sie die erste Seite der Anmeldung dafür, ein der Erfindung zu Grunde liegendes technisches Problem glaubhaft zu machen. Obwohl dieser Teil unter Umständen gar nicht zur Offenbarung der Erfindung zählt, können Sie hier bereits die Erwartungen und die Denkweise des Lesers bestimmen. Zitieren Sie keinen Stand der Technik (SdT), den Sie nicht sehr gut kennen. Formulieren Sie haarscharf am SdT vorbei, aber weisen Sie die Gegenseite nicht auf ihn hin. Sie können hier nichts gewinnen, aber viel verlieren. Die Dokumente, die nach dem Einreichen einer Patentanmeldung recherchiert werden, müssen Sie später sowieso angeben.
Arbeiten Sie mit guten Zeichnungen. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als 1000 Worte. Das funktioniert aber auch rückwärts, wenn nur wenig auf dem Bild zu sehen ist. Eine Figur 1 der Art “Kiste – Pfeil – Kiste” deutet für mich nicht gerade auf ein technisches Problem, ein technisches Mittel oder eine technische Lösung hin. Was hier fehlt, müssen Sie an anderer Stelle aufwändig nachschieben.
Gliedern Sie die Offenbarung auch grafisch. Überlegen Sie sich, welche Sachverhalte sie grafisch darstellen wollen und welche besser verbal beschrieben sind. Leisten Sie sich einen Grafiker, um die Inhalte passend umzusetzen, aber sorgen Sie dafür, dass der Grafiker nicht übertreibt. Das Gesamtkonzept entscheidet über die technische Abteilung, bei der Sie mit der Anmeldung landen. Vergessen Sie bei alledem nicht, dass über die Patentfähigkeit und den Schutzbereich immer die offenbarten technische Merkmale entscheiden.
Richten Sie bei der Anmeldung im Zweifel keine Ansprüche auf ein Computerprogrammprodukt, einen Datenträger oder eine Verwendung eines bekannten Gegenstands zur Ausführung Ihrer Erfindung. Das sind nebengeordnete Ansprüche, die Sie besser in der Beschreibung vorbereiten und erst ins Verfahren einführen, wenn sich eine Einigung über den unabhängigen Verfahrens- oder Vorrichtungsanspruch abzeichnet. Sie verschwenden sonst nur Ansprüche, die Sie für technische Merkmale verwenden können und stoßen den Leser unmittelbar auf die Frage, ob Technizität vorliegt.
Diese Maßnahmen können Ihrer Anmeldung den Start erleichtern, Inhalte aber nicht ersetzen. Bei möglicherweise nichttechnischen Inhalten ist besonders wichtig, die verwendete Nomenklatur im Griff zu haben und gute Definitionen für zentrale Begriffe aufzustellen. Vermeiden Sie Textbausteine, die sind meist nutzlos (mögliche Ausnahme: US-Verfahren) oder gefährlich, wenn Sie sie nicht genau kennen und regelmäßig pflegen. Beschreiben Sie das Ökosystem der Erfindung, achten Sie aber dabei darauf, keine Gegenargumente zu liefern und keine schädlichen Fragen aufkommen zu lassen. Lassen Sie weg, was Ärger macht. Überhaupt: bedienen Sie sich der Kunst des Weglassens. Orientieren Sie sich an bereits erteilten Patenten im gleichen technischen Gebiet. Prüfen Sie aktuelle Trends: ist Ihr Thema gerade en vogue? Können Sie das ausnutzen? Prüfen Sie die Gepflogenheiten im anvisierten technischen Bereich: welche Anforderungen werden dort an die erfinderische Höhe gestellt? Ist die Technik schon alt oder noch jung? Kennen Sie den Prüfer, der Ihre Erfindung wahrscheinlich bearbeiten wird? In welcher Erinnerung hat er Sie?
Jede Erfindung ist ein Einzelfall und auch wenn Sie alle genannten Ratschläge befolgen, fehlt doch noch der Hauptteil: die Erfindung und die Ansprüche. Dabei können wir Ihnen gerne behilflich sein.
Übrigens: die Überschrift bezieht sich auf bislang ungelöste eine informatische Kernfrage: kann jede Aufgabe in polynomialer Zeit (P) über die Problemgröße gelöst werden, falls die Herangehensweise nur schlau genug ist, oder gibt es Aufgaben, nicht polynomial sind (NP) und zum Beispiel exponentialen Aufwand erfordern?
Andersherum: es ist nicht abschließend geklärt, ob derzeit sehr aufwändige Aufgaben (z. B. Bitcoin-Mining oder das Knacken einer Verschlüsselung) nicht auch viel schneller gelöst werden könnten, wenn man nur einen besseren Algorithmus zur Verfügung hat.
Natürlich könnte die Überschrift auch für “Patentierbar oder Nicht Patentierbar” stehen. Diese Frage kann zumindest im Einzelfall als Rechtsfrage amtlich und abschließend beantwortet werden.